Mit Isabel Gadea vom „Institute for Digital Transformation in Healthcare“ der Universität Witten/Herdecke haben wir darüber gesprochen, warum es heute relevanter denn je ist, das unternehmerische Handeln im Zuge der Digitalisierung einer ethischen Prüfung zu unterziehen und wie Unternehmen ethischen Herausforderungen der Zeit begegnen können.
Frau Gadea, vielen Dank für die Bereitschaft, ein Interview mit uns zu führen! Zunächst einmal die Frage: Warum beschäftigen Sie sich mit dem Thema Ethik und wo liegt ihr Fokus dabei?
Die digitale Transformation hat eine enorme Wirkmacht. Die Art, wie wir kommunizieren, arbeiten, produzieren und Geschäfte führen, hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Wir beobachten einen lebhaften Diskurs zum „richtigen“ und „verantwortungsbewussten“ Umgang mit Daten und Algorithmen. Mit dem Begriff „digitale Ethik“ werden vor allem Werte und Prinzipien diskutiert – vor allem im Wissenschaftskontext. Im Unternehmenskontext sprechen wir von „Corporate Digital Responsibility“ – also wie man diese Werte und Prinzipien im unternehmerischen Alltag operationalisiert.
Etwas allgemeiner gefragt: Welches sind aus Ihrer Sicht die größten ethischen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Digitalisierung in der Unternehmenswelt?
Je nach Kontext der unternehmerischen Tätigkeit können das ganz unterschiedliche Herausforderungen sein. Manche Fragen sind allerdings industrieübergreifend und begegnen uns dadurch häufiger:
- Welche Verantwortung haben Unternehmen, wenn sie Algorithmen zur Vorauswahl von Bewerber*innen verwenden?
- Wie kann ein datenbasiertes Geschäftsmodell aussehen, das die Privatsphäre der Nutzer*innen respektiert?
- Ist es vertretbar, den Kundendienst über Chatbots abzuwickeln, ohne, dass die Kund*innen wissen, ob sie mit einem Menschen oder einer Maschine kommunizieren?
Dabei gibt es nicht die eine Frage oder die eine Abteilung, aus der digital-ethische Fragestellungen an uns herangetreten werden. Strukturierte Analysen in den Unternehmen zeigen immer wieder, wie vielfältig die Handlungsfelder digitaler Ethik sind.
Inwiefern kann eine ethische Betrachtung dieser Herausforderungen bei der Umsetzung digitaler Geschäftsmodelle und Lösungen Hilfestellung leisten?
Wir sehen uns als Begleiter und „Enabler“ digitaler Transformation. Durch digital-ethische Analysen versuchen wir, potenzielle Risiken von digitalen Geschäftsmodellen und Lösungen frühzeitig aufzudecken. Aktuelle Studien zeigen, dass über 40% aller Manager*innen bei der Einführung von digitalen Lösungen schon vor ethischen Problemen standen und nur unzureichend wussten, wie damit umzugehen ist.
Unser Leitbild ist es, Vertrauen in die digitale Transformation zu schaffen – nach innen sowie nach außen. Durch die Operationalisierung digital-ethischer Prinzipien sollen Entwickler*innen von digitalen Produkten Werkzeuge an die Hand bekommen, die ihnen helfen, die richtigen Fragen zu stellen. Entscheidungsträger*innen oder auch Kund*innen sollen informierte Entscheidungen treffen.
Inwiefern kann Technologie Teil eines ethischen Lösungsansatzes sein? Haben Sie hierfür vielleicht ein oder mehrere Beispiele parat?
Technologie ist immens wichtig. Wir verfolgen einen sehr ganzheitlichen Ansatz, der sowohl die Risiken als auch die Potenziale von digitalen Technologien betrachtet. In der Öffentlichkeit wird über den Datenschutz die Privatsphäre des Einzelnen in den Fokus gerückt. Wir sind in unserer Arbeit aber laufend mit konkurrierenden Werten konfrontiert. Die Mehrwerte von Technologien stehen potenziellen Risiken entgegen und müssen strukturiert abgewogen werden.
Gibt es bestimmte Technologien, die besonders hervorgehoben werden müssten?
Der Diskurs der digitalen Ethik hat einen großen Schub durch das Thema der Künstlichen Intelligenz erhalten. Und das durchaus berechtigt, da es genug Beispiele gibt, in denen bspw. die Kreditvergabe automatisiert wurde und bestimmte Gruppen aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihres Wohnorts strukturell diskriminiert wurden. Das liegt unter Anderem daran, dass diese Algorithmen mit historischen Daten trainiert werden. Wenn also in der Vergangenheit Diskriminierung durch Institutionen stattgefunden hat, dann werden diese natürlich von der Maschine übernommen und tendenziell sogar verstärkt.
Die Europäische Kommission arbeitet daher intensiv an einem „AI Act“, durch den der Einsatz von Künstlicher Intelligenz reguliert werden soll.
Ist es auch für kleine und mittlere Unternehmen relevant, eine ethische Dimension zB. bei der Weiterentwicklung/Transformation von Geschäftsmodellen mit einzubeziehen?
Unbedingt! Besonders im Mittelstand begegnen wir vielen Bedenken von Mitarbeiter*innen, Partner*innen und auch auf Kund*innenseite. Ethische Risiken zu identifizieren, diese anzugehen und proaktiv darüber zu kommunizieren, kann dabei helfen, die digitale Transformation zu beschleunigen und digitale Produkte schneller zum Erfolg zu führen.
Mehr Informationen zum Thema CDR erhalten Sie in unserem Hub „unternehmerische digitale Verantwortung“.