Geschäftsmodelle in Krisenzeiten weiterdenken

Ein Mann sitzt auf einem Hochstuhl in einem Cafe und arbeitet digital während er einen Kaffee trinkt.

Bildquelle: unsplash/Daniela Araya

Geschäftsmodelle sollten regelmäßig reflektiert werden. Nicht nur in Krisenzeiten.


18. Juli 2022 | Von Redaktion

Die Corona-Pandemie und auch der Ukraine-Krieg stellen viele Betriebe vor große Herausforderungen. Besonders Unternehmen, die den digitalen Wandel für sich noch nicht vollzogen haben, müssen nun in kurzer Zeit maximal flexibel reagieren. Doch wo soll man beginnen, sein Geschäftsmodell auf zukunftsfähige Füße zu stellen? Wir haben mit dem Experten für Geschäftsmodellinnovation Dr. Diethard Bühler gesprochen. Er ist Geschäftsführer der Berlin Digital Group (BDG) und arbeitet mit dem Mittelstand-Digital Zentrum Zukunftskultur zusammen.

Diethard Bühler steht im Treppenhaus und posiert für ein Bild
„Die Corona-Krise wird nachhaltige Spuren hinterlassen. Nicht alles wird neu gestaltet, aber es wird doch vieles anders als bisher.“

Herr Bühler, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für das Interview nehmen. Was ist für Sie ein Geschäftsmodell und wie definieren Sie den Begriff „Innovation“ in diesem Zusammenhang?

Diethard Bühler: Der Begriff „Geschäftsmodell“ beschreibt wie ein Unternehmen Umsatz und Gewinn erzielt. Die Beschreibung eines Geschäftsmodells zielt in aller Regel darauf ab, welche Produkte/Lösungen/Dienstleistungen wie viel Umsatz generieren, welcher Aufwand damit verbunden ist und welche Erfolgsfaktoren genutzt werden. Zum Beispiel: Preis, Qualität, Hochwertigkeit einer Marke etc.

Innovation ist insofern notwendiger Bestandteil eines Geschäftsmodells, als dass sich die Rahmenbedingungen für Unternehmen ständig ändern, seien es neue Technologien, neue Rechtsregeln, neue Wettbewerber, neue Fähigkeiten und Erwartungen der Kund*innen oder Geschäftspartner*innen und andere mehr. Man denke nur an die Alltagserfahrung des Filmsehens. Jahrzehntelang waren Kino, dann „Television“ das Mittel der Wahl, dann kamen Videos (als VHS-Kassetten, dann als DVD) und heute ist es „Streaming“. Große Unternehmen sind entstanden und untergegangen (z.B. Videotheken-Ketten) und große Konzerne mischen die Branche auf (Netflix, Disney, Amazon…). Wer sein Geschäftsmodell nicht an diese sich ändernden Bedingungen anpasst, nicht innoviert, bleibt schnell auf der Strecke. Jedes Unternehmen tut also gut daran, sich immer wieder zu hinterfragen.

Im Rahmen der aktuellen Herausforderungen hinterfragen viele kleine- und mittlere Unternehmen (KMU) ihr bestehendes Geschäftsmodell. Welchen Rat geben Sie gerade Unternehmen der Gastronomie und der Handelsbranche?

Nach einer anfänglichen Schockstarre aufgrund des verhängten „Lockdowns“ in der Corona-Pandemie haben viele Unternehmen gerade in der Gastronomie, aber auch im Handel versucht, das Beste daraus zu machen. Das Problem war, dass der Kontakt zum Kundinnen und Kunden oft abgeschnitten war. Wer seine Kundinnen und Kunden kannte und -besser noch- sie erreichen konnte, war im Vorteil. Online-Verkauf, Kundenansprache über digitale Kanäle, Kundenpräferenzen verstehen – hier haben viele Unternehmen sehr schnell dazugelernt. Aber auch kreative Ansätze wie Gutschein-Verkauf (für die Nach-Lockdown-Zeit), Zusammenstehen und Austausch via Plattformen, beziehungsweise digitalen Communities wurden adaptiert.

Zugleich wurde sichtbar, wie viel Nachholbedarf bei einigen bestand – und noch immer besteht. Als Berlin Digital Group haben wir speziell für den Mittelstand einen Denkanstoß zum „Neuen Normalzustand“ herausgegeben, in dem wir Thesen aufgestellt haben, was sich nachhaltig geändert hat und wie man darauf reagieren kann. Im Mittelpunkt stehen die Kundenbeziehung und die Kundenkenntnis, aber es gibt auch Aussagen zu Arbeitsorganisation, zur Wichtigkeit der Informationstechnologie oder auch zur Transformation bisheriger Wertlieferketten.

Kurz gesagt: Die Corona-Krise und auch der Ukraine-Krieg werden nachhaltige Spuren hinterlassen. Nicht alles wird neu gestaltet, aber es wird doch Vieles anders als bisher.

Gibt es Techniken und Methoden, die es erleichtern, ein Geschäftsmodell krisensicher aufzustellen?

Ja, die gibt es. Und Unternehmer*innen und Führungspersonen sind gut beraten, das bisherige Geschäftsgebaren -bis hin zum Geschäftsmodell- auf den Prüfstand zu stellen. Wir unterscheiden drei Aspekte: Die Ausrichtung zu Kundinnen und Kunden hin, die interne Produktivität und das Geschäftsmodell als solches.

Zur Kundschaft hin gilt es über Kundenkenntnis, Kundenerreichbarkeit und Online-Verkaufsmöglichkeiten nachzudenken. Welche Online-Fähigkeiten und -erwartungen haben die Kund*innen, wie kann ich einen Kundenstamm durch Information und Integration mit meinem Geschäft, bzw. meinem Lokal/Restaurant verbunden halten? Wie können Reservierungen optimiert und Wartelisten automatisiert werden? Und: Welche Technologien gibt es, mit denen ich das erreichen kann, was ich will? Dazu zählen auch Produkt- und Service-Erweiterungen. Vieles davon gilt natürlich auch für die Zulieferer.

Interne Produktivität kann durch digitale Anwendungen meist signifikant verbessert werden. Man denke nur an den Einkauf, die Disposition, Warenwirtschaft, Bestell- und Bezahlvorgänge, Arbeitsaspekte oder Zugänglichkeit von Informationen, um das „Mitdenken“ der Mitarbeiter*innen möglich zu machen, bzw. zu verbessern.

Beim Geschäftsmodell schließlich geht es um die Erschließung neuer Einnahmequellen, beispielsweise um Umsatzerweiterungen auf Basis von Kundenpräferenzen oder um Vorhersage der Kundenbedürfnisse. Und es geht um Zeitpunkte, zu denen diese wahrscheinlich auftreten, so dass die Kundenansprache sehr viel gezielter als bislang vorgenommen werden kann.

Sich neu zu erfinden, ist oft auch mit einem gewissen Maß an Unsicherheit verbunden. Wie schafft man es, diese zu überwinden?

Die Unsicherheit entsteht oftmals aus dem Gefühl, sich eine Blöße zu geben, wenn von neuen Themen und Technologien die Rede ist. Der Begriff „Digitale Transformation“ setzt alle unter Druck, irgendwie auch etwas in dieser Hinsicht machen zu müssen – und viele wissen nicht, was sie konkret tun sollen. Das Mittelstand-Digital Zentrum Zukunftskultur versucht, dem entgegen zu wirken und mit teilweise spielerischen Mitteln einen unverkrampften Zugang zu Begrifflichkeiten und Technologieanwendungen zu schaffen. So haben wir ein Quartettspiel entwickelt, das in Unternehmen gespielt werden kann und geeignet ist, das „Eis der Verkrampfung“ zu brechen. Noch wichtiger ist uns in diesem Zusammenhang die „Digitalisierungsreise“ aber mit großem praktischen Erfolg auf Digitalisierungsoptionen lenkt.

Stichwort Vertrauen: Wie können KMU Vertrauen in die Digitalisierung gewinnen, um Geschäftsmodelle nicht nur analog, sondern auch digital am Laufen zu halten?

Gegenfrage: Welches Vertrauen gibt es in E-Mail, Online-Banking, Facebook, Whatsapp oder Sport-, Musik- und Wetterapps? Wir alle sind längst auf dem Weg in die Digitalisierung und haben dabei schon viel gelernt. Für Unternehmen geht es nun darum, dieses – im privaten Bereich ja oftmals spielerische Lernen – gezielt auf die Unternehmensbedürfnisse auszurichten. In aller Regel sind die Anwendungen für die allgemeineren Unternehmensbedürfnisse schon relativ einfach zu bedienen. Über die sogenannten Cloud-Anbieter sind auch die Sicherheitsvorkehrungen gerade für die generellen Anwendungen signifikant verbessert worden. Probleme werden meist sehr schnell behoben. Letztlich sind überall die Gesetzgeber und Behörden gefordert, den passenden Ordnungsrahmen für die digitale Transformation zu schaffen. Das ist teils schwierig (man denke nur an Uber und das Taxigewerbe oder Airbnb und das Beherbergungsgewerbe, beziehungsweise die Mietsituation in Großstädten). Und: Es ist niemals perfekt, aber Dazulernen ist Programm – ganz wie es bei der Sicherheit im Autoverkehr über Jahrzehnte passiert ist.

Herr Bühler, wir danken Ihnen für das Interview.

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