Veränderung als neue Normalität: In drei Schritten zur Change-Kultur 

Wir leben in einer dynamischen Welt, in der Wandel zum Normalfall geworden ist. Change-Management sollte daher ein fester Teil der Unternehmemskultur werden.


18. Juli 2022 | Von Valerian Warmuth

Wir werden alle zu Change-Expert*innen

Unternehmen auf der ganzen Welt müssen aktuell auf Veränderungen und Herausforderungen bedingt durch die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg reagieren: Digitales Arbeiten, Home-Office, Lieferengpässe. Die letzten Monate haben viele Unternehmen in kürzester Zeit vor verschiedene Herausforderungen gestellt. Betriebe mussten Arbeitsabläufe umstrukturieren, innovative Lösungen entwickeln und sich neu positionieren. All das, was vorher in lang geplanten Veränderungsprozessen vorsichtig und groß angelegt verlaufen ist, wird zunehmend schneller umgesetzt. Zudem sind Wirtschaft und Gesellschaft mit sich wandelnden Umwelteinflüssen konfrontiert. Veränderung ist damit zum Regelfall geworden.

Wer also Change-Management als Ausnahmesituation betrachtet, die man nur überwinden muss, der wird auf Dauer Schwierigkeiten haben, sich im Wettbewerb zu behaupten. Denn in einer dynamischen Umwelt ist derjenige im Vorteil, der sich am besten weiterentwickeln kann. Change-Management sollte daher einen zentralen Bestandteil der Unternehmenskultur darstellen.  Dazu braucht es vor allem eine offene und mutige Haltung gegenüber Veränderung, die fest im Arbeitsalltag verankert ist. Wir möchten Ihnen nun drei mögliche Schritte aufzeigen, wie sie Change-Ansätze in ihrer Organisation einbauen können – als Grundlage für eine nachhaltige Unternehmensentwicklung. 

In drei Schritten zur Change-Kultur 

1. Raum für Emotionen – Vom Tabu zum Erfolgsfaktor

Die Arbeit ist für viele Menschen ein zentraler Bestandteil ihres Lebens. Menschen binden sich emotional an Dinge und je wichtiger diese sind, desto mehr wollen sie an ihnen festhalten. Jede Veränderung im Unternehmen bringt daher Unsicherheit mit sich. Gefühle zu zeigen oder offen Bedenken zu äußern ist im beruflichen Alltag nicht unbedingt üblich. Wenn Ängste allerdings tabuisiert werden, ist Verdrängung die einzige Alternative. Die Folge ist, dass Menschen nicht mehr dazu fähig sind, sich auf Veränderungen einzulassen und produktiv zu arbeiten. 

Unternehmen sollten daher Systeme etablieren, die Vertrauen fördern und den Austausch über emotionales Erleben unterstützen. Damit wird das Fundament geschaffen, um alle anderen Maßnahmen einer Change-Kultur überhaupt erst zu ermöglichen. Auf folgende Punkte sollten sie achten:

  • Vorbilder befähigenEin Austausch über persönliche Ängste lässt sich nicht einfordern. Stattdessen müssen Vorbildfunktionen aktiviert werden. Führungskräfte sollten daher einen offenen Umgang mit ihren Gefühlen vorleben. Dies erfordert Mut, motiviert die Mitarbeiter*innen aber ebenfalls zu mehr Offenheit.   
  • Übergangsrituale etablieren Jede Veränderung geht sowohl mit Verlusten als auch mit Gewinnen neinher. Daher ist es wichtig, das Überholte gebührend verabschieden zu dürfen. Auch wenn Strukturen oder Kompetenzen in Zukunft nicht mehr gebraucht werden, so hatten sie in der Vergangenheit ihren Nutzen. Dies sollte Anerkennung finden.  
  • Vertrauensvolle Gesprächsräume gestalten Um die Zusammenarbeit auf ein vertrauensvolles Fundament zu stellen, müssen sich die Mitarbeiter*innen mit ihren intellektuellen und emotionalen Facetten einbringen können. Ganz praktisch bedeutet das, folgende Fragen in den Arbeitsprozess einzubauen: „Was denke ich?“, „Wie fühle ich mich?“, „Was ist mir an diesem Punkt wichtig?“. Dies kann in Meetings durch Check-In und Check-Out-Runden trainiert werden. 
  • Psychologische Sicherheit herstellen – Voraussetzung dafür, dass man sich als Mitarbeiter*in öffnet und wohl fühlt, ist ein Empfinden der Sicherheit. Dieser Zustand entsteht, wenn wir uns „als ganzer Mensch“ zeigen können, Schwäche und Unsicherheit thematisiert werden dürfen und auch Fehler offen angesprochen werden können. Für die Zusammenarbeit heißt das konkret: In Meetings haben alle Sprechenden die gleiche Zeit sich zu äußern. Führungskräfte sollten aktiv zuhören, also Gesagtes zusammenfassen und aufgreifen. Subjektivem Empfinden wird dabei Raum gegeben. 

2. Mit Mut zum Unbequemen – Fehler als Innovationstreiber

Wo gearbeitet wird, da passieren Fehler. Und das hat auch Vorteile, denn Fehler können Fortschritt antreiben. Nur wenn etwas nicht läuft wie geplant, versucht man einen neuen Weg zu finden, um sein Ziel zu erreichen. Würde alles perfekt laufen, gäbe es keinen Anlass zur Innovation. Unternehmen sollten deshalb Fehler als Lernmöglichkeit betrachten, die ihnen Potenzial für erfolgreiche Veränderungsprozesse eröffnen können. 

Im ersten Schritt haben sie Methoden kennengelernt, mit deren Hilfe sich Raum für Emotionen und kritische Themen in den Arbeitsalltag einbauen lassen. Dies bildet die  Grundlage dafür, dass eine positive Fehlerkultur greifen kann. Im diesem Schritt lernen Sie Ansätze kennen die aufzeigen, wie sich eine solche Fehlerkultur nun umsetzen lässt. Hierbei spielt vor allem die Haltung gegenüber dem „Fehler“ eine entscheidende Rolle. Im Mittelpunkt stehen nicht Schuldzuweisungen oder das Problem, sondern das Ziel, neue effektive Lösungen zu gestalten. Möglichkeiten, welche in bestehende Strukturen eingebunden werden können, sind: 

  • Transparente Kommunikation im Veränderungsprozess – Um Unsicherheiten und Abwehr entgegenzutreten, ist eine transparente Kommunikation von Beginn an entscheidend. Für die Mitarbeiter*innen muss es nachvollziehbar sein, warum man einen neuen Weg geht und was dadurch gewonnen wird. Hier sollte die Geschäftsleitung unbedingt mit gutem Beispiel voran gehen und auch kritische Themen offen ansprechen. Wird Kritik thematisiert, erhöht sich die Akzeptanz gegenüber der Veränderung und  Fehler oder Schwachstellen im Prozess können gegebenenfalls optimiert werden. 
  • Fuck-up HourDas Konzept hinter der Fuck-up Hour ist es, sich seine größten Fehlschläge ehrlich einzugestehen und mit seinen Kolleg*innen zu teilen. In einem zweiwöchigen Rhythmus stellen Mitarbeiter:innen ihre Fehler der letzten Wochen vor. Es wird bewusst nachvollzogen, wie der Fehler zustande kam, wie dieser in Zukunft verhindert werden kann und was daraus gelernt wurde. So kann die ganze Organisation daran wachsen. 
  • RetrospektiveAm Ende der Arbeitswoche wird das Geschehen reflektiert. Ein solches Meeting kann das Fundament für die kommende Woche und zukünftige Projekte bilden. Um dies zu gewährleisten ist es wichtig, ehrlich und kritisch zu sein, dabei allerdings immer wertschätzend und lösungsorientiert zu bleiben. Leitfragen können sein: Was hat gut funktioniert und kann beibehalten werden? Was hat nicht funktioniert und muss verbessert werden? Welche Veränderungen folgen daraus für das Vorgehen?

3. Veränderung heißt nicht gleich Entwicklung – Von der Fehlerkultur zur Lernkultur

Wir verändern uns ständig, doch das muss nicht immer heißen, dass wir uns dabei auch weiterentwickeln. Daher bedeutet Unternehmensentwicklung, die Dinge nicht nur anders zu machen, sondern stets dazuzulernen und an neuen Herausforderungen zu wachsen. 

Wer eine positive Fehlerkultur etabliert, geht bereits einen Schritt in diese Richtung. Denn somit wird kontinuierliches Lernen ermöglicht, als Schlüssel im Entwicklungsprozess. Um als Unternehmen in Zukunft überlebensfähig zu bleiben, wird ein offener Umgang mit Fehlern allerdings nicht reichen. Es braucht darüber hinaus eine strategische Lernkultur, in der Rückschläge sowie Erfolge  zusammengeführt und in verschiedenen Unternehmenskontexten reflektiert werden. Ein mögliches Konzept hierzu bietet das „Lernen in drei Schleifen“.

  • Erste Schleife: Diese Lernform beschreibt das Lernen, wie wir es im Alltag kennen. Ein Problem tritt auf und als Reaktion werden Maßnahmen zur Lösung getroffen. Man fragt sich: Was war das Problem und wie können wir es in Zukunft anders machen? Das heißt, die Wahrnehmung eines Problems treibt uns dazu, unsere Handlungen auf einen neuen Zielzustand hin anzupassen. So könnte beispielsweise eine fehleranfällige Software durch eine neuere ersetzt werden. 
  • Zweite Schleife: Die zweite Schleife dient dazu in eine tiefere Entwicklungsebene zu gehen, in der Werte, Normen und Organisationsziele reflektiert werden. Grundlegende Annahmen werden hinterfragt und bei Bedarf geändert. Wurde im ersten Schritt eine neue Software eingeführt, doch die gleichen Fehler treten trotzdem wieder auf, muss der Blickwinkel verändert werden. Die Annahme, das Problem ist gelöst, sobald eine bessere Technologie eingebaut wird, kann in diesem Fall zu einseitig sein. Ein neuer Ansatz wäre es, die Unternehmenskultur in den Fokus zu nehmen. Die Frage dabei ist, warum die Mitarbeiter*innen die Technologie nicht adäquat verwenden und was es braucht, um sie bei der Nutzung zu unterstützen. 
  • Dritte Schleife: Die letzte Schleife fokussiert das eigentliche Lernen, also den Weg zur Aneignung von Wissen. Unternehmen müssen sich fragen, wie in der Organisation gelernt wird und warum genau diese Methoden Anwendung finden. Wie wird mit neuen Informationen umgegangen? Gewinnt man neue Erkenntnisse in einer Schleife, in zwei Schleifen oder sogar ganz anders? Mit welchen Verfahren wird gelernt und welche passen überhaupt zum Unternehmen? Wer seinen Lernprozess immer wieder hinterfragt, der wird auch in Zukunft anpassungsfähig bleiben und sich weiterentwickeln können. 

Veränderung ist zu unserer neuen Normalität geworden. Doch um die Potenziale des ständigen Wandels richtig nutzen zu können, braucht es eine fest etablierte Change-Kultur im Unternehmensalltag. Diese kann umgesetzt werden, indem zunächst vertrauensvolle Gesprächsräume geschaffen werden, in denen Mitarbeiter*innen sich sicher fühlen und sich öffnen können. Darauf aufbauend, kann im nächsten Schritt die Etablierung einer positiven Fehlerkultur gelingen, die lösungsorientiertes und innovatives Arbeiten stärkt. In einem letzten Schritt werden alle Maßnahmen in einem fortlaufenden Lernprozess zusammengeführt, indem auch Wertevorstellungen, Annahmen und Lernstrategien reflektiert werden. Wir halten also fest: Wer Veränderungen mutig und kontinuierlich angeht, rüstet sich damit für eine zukunftsgewandte Unternehmensentwicklung. 

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