Der Zustand permanenter Veränderung begleitet uns seit mehreren Jahren. Vor allem Unternehmen müssen sich von der Auffassung abgeschlossener Veränderungsprozesse lösen. Wie kann der Wandel hin zu einer in der Unternehmenskultur verankerten Veränderungskultur gelingen?
Bereit sein für Veränderung
Der Vorteil ist, dass der Begriff Change in den meisten Unternehmen durchaus positiv besetzt ist. Change Management oder Veränderungsmanagement beinhaltet ein modernes unternehmerisches Selbstverständnis und dient als Schlüsselbegriff für eine zeitgemäße Arbeits- und Organisationskultur. Veränderungsprozesse verfügen damit über einen natürlichen Vertrauensbonus – man hofft auf ihre befreiende und zukunftsweisende Wirkung.
Mitarbeiter*innen mitnehmen
Aber: Häufig streben Organisationen immer noch nach einem mehr oder weniger komfortablen Status Quo. Führungskräfte und Mitarbeitende neigen dazu, Gewohntes zu verteidigen. Veränderungen werden daher auch als Störung empfunden und bringen Verunsicherungen mit sich. Insbesondere die Auswirkungen neu eingeführter technischer Prozesse oder Systeme sorgen in etlichen Unternehmen außerhalb von Tech-Branchen für erhebliche Unruhe. Das ist menschlich und ganz normal. Die Psychologie sagt, dass Menschen auf überfordernde Situationen mit Schutzmaßnahmen reagieren, die ihnen helfen, kritische Situationen zu meistern. Dabei werden sie aber nicht immer bewusst wahrgenommen. Deshalb gehören kritische Einwände und Widerstände zu jedem Veränderungsprozess dazu.
Führung im Veränderungsprozess
Umso entscheidender ist es, als Führungspersönlichkeit eine motivierende und dem digitalen Wandel zugewandte Haltung aufzubauen und diese Haltung auch nach außen zu tragen. Digitalisierung ist eine zentrale unternehmerische Herausforderung. Raus aus der Komfortzone ist die Devise! Es geht darum, proaktiv zu handeln, eigene digitale Visionen in neue Unternehmensstrategien zu integrieren und bestehende Geschäftsmodelle kritisch zu hinterfragen. Rein betriebswirtschaftliche Kalkulationen genügen dazu nicht. Auch keine rein technologische Betrachtung. Es braucht vielmehr eine Unternehmenskultur, die offen ist für Ideen und Gestaltungsspielräume schafft. Es braucht Mut und Gelassenheit zugleich, um die eigenen Innovationspotenziale zu entdecken und zur Entfaltung zu bringen. Dann kann ein Unternehmen sich immer wieder an neue Rahmenbedingungen anpassen und sichert so seinen langfristigen wirtschaftlichen Erfolg.
Veränderungen sensibel angehen
Gerade Digitalisierungsprozesse erfordern Veränderung mit Augenmaß. Schritt für Schritt müssen zunächst folgende Fragen beantwortet werden: Welche Kernprozesse müssen im ersten Schritt unbedingt angegangen werden und was kann warten? Wer und was stehen für diese notwendigen Veränderungen zur Verfügung? Was soll zukünftig erreicht werden? Was soll Bestand haben, was muss sich ändern? Wo und wie können ungenutzte Ressourcen erschlossen werden? Was kann investiert werden? Wo drohen Überlastungen? Nicht zu viel auf einmal wollen! Nur auf Basis einer realistischen Einschätzung der individuellen Ausgangslage können tragfähige Zukunftsvisionen entwickelt und die Möglichkeiten der Digitalisierung effektiv ausgeschöpft werden. Dazu wird frühzeitig ein auf Zeiten und Ressourcen ausgelegtes Konzept benötigt, das auch Rückschläge und mögliche Ziel- und Anspruchskorrekturen berücksichtigt. Ein Kernteam, möglichst abteilungs- und hierarchieübergreifend aufgebaut, kann den Prozess im Unternehmen begleiten. Es wirkt dabei auch in die einzelnen Bereiche und Hierarchieebenen hinein und sorgt für eine transparente Kommunikation des Prozesses.
An einem Strang ziehen
Denn eine entscheidende Voraussetzung für erfolgreiche und nachhaltige Veränderungsprozesse ist die Berücksichtigung des Faktors Mensch und die Mitnahme aller betroffenen Mitarbeiter*innen – über alle hierarchischen Ebenen hinweg. Das bedeutet häufig auch die Entwicklung eines neuen Führungsverständnisses. In der digitalen Transformation braicht es also immer auch eine kritische Überprüfung gewohnter Managementfunktionen: Wie soll im eigenen Unternehmen gegenwärtig und zukünftig geführt werden? Welche neuen Kompetenzen müssen aufgebaut und in bestehende Strukturen überführt werden? Wie können Mitarbeiter*innen zu eigenverantwortlicher Selbstführung qualifiziert und motiviert werden? Wie kann ich die eigenen Visionen gegenüber dem Kollegium, der Kundschaft und Lieferanten verständlich kommunizieren? Nicht jede*r Mitarbeiter*in muss sich mit allen Aspekten des Digitalisierungsprozesses beschäftigen, aber alle sollten sich mit den Zielen identifizieren können, denn ohne Bereitschaft gelingt die Veränderung nicht.
Irritation als Chance für Neuorientierung
Mut und Gelassenheit bedeutet dabei auch, nicht von allen nur Begeisterung zu erwarten. Die Reaktionen auf bevorstehende Veränderungen können im Einzelfall sehr unterschiedlich ausfallen – das psychologische Profil von Veränderungsprozessen folgt einem stets vergleichbaren Phasenmodell, das der schwedische Sozialpsychologe Claes Janssen mit den „Vier Räume von Veränderungen“ eindrücklich beschreibt. Es ist unter dem Namen „House of Change“ bekannt geworden und stellt psychologische Prozesse bei der Wiedergewinnung eines in die Krise geratenen (komfortablen) Ausgangszustandes dar. Das Verlassen der (gewohnten) Komfortzone führt zunächst zum Leugnen der Notwendigkeit geforderter Veränderungen, gefolgt von Konfusion über das Ungewohnte und schließlich zu einer positiven Neuorientierung. Nehmen Sie jeden Einwand ernst. Prüfen Sie sorgfältig Gegenargumente und planen Sie Diskussionen und mögliche Kurskorrekturen bewusst ein. Ein konstruktiver Umgang mit Kritik verringert mögliche Widerstände und schafft die notwendige Akzeptanz für Veränderung.
Gelassen und mutig im Veränderungsprozess
Das alles ist leicht gesagt. Führungspersönlichkeiten in Unternehmen fällt es allerdings oft schwer, Zustände zu akzeptieren, in denen Planung und Kontrolle zurücktreten. Veränderungsmanagement besteht aber gerade darin, Irritation als Chance für Neuorientierung zu nutzen. Veränderungsprozesse und damit die Ablösung von Gewohntem gehen nicht ohne vorübergehenden Verlust von Orientierung voran. Es braucht die konstruktive Öffnung von Freiräumen und Spielfeldern für eine Neuorientierung. Transformation ist kein Umschalten von alten in neue Gesetzmäßigkeiten, sondern ein schrittweiser Entwicklungsprozess, in dem Brainstormings, kreatives Denken und Umwertungen sukzessive eingeübt werden müssen. Je mehr Wandelsituationen erprobt und zugelassen werden, desto stärker wird die Veränderungskultur im Unternehmen.